Lyrikband von Delimir Rešicki
Jeder Mensch wird mit der Erinnerung an seine Vorfahren geboren, die ihn in sein Leben eingeführt und ihm die Aufgabe übertragen haben, zum Aufstieg und zur Befreiung der Generation beizutragen. Bei der Geburt erhält ein Mensch generationsübergreifendes Wissen, Wissen um Kontinuität, Wissen um ewigen Wandel. Doch dieses Wissen birgt auch Schleier über Wahrheiten, die gelüftet werden müssen. Unsere eigene Identität beginnt daher in der Erinnerung, im kollektiven Bewusstsein des Materiellen.
Rešickis Tagebuch ist aus dem Gedächtnis geschrieben. Es ist ein Déjà-vu und damit eine Arrhythmie, fragmentarisch und unsynchronisiert. Längst vergessene Menschen erscheinen, verlorene Lieben, seltsame Kindheiten, vergangene Kriege, Geister, Träume, Geschäfte und Züge, die sich in sein Leben einmischen. Diese Erscheinungen, Geister der Vergangenheit, helfen dem Dichter, sich klar zu definieren: Ich bin nicht wie sie, und ich will nicht wie sie sein. Doch diese Geister der Vergangenheit werfen für Rešicki auch eine andere Frage auf: Wenn du nicht wie wir bist, wer bist du dann? Rešickis Antwort ist eskapistisch: Er will verschwinden. Doch diese Antwort füllt den Raum der Seele nicht – denn die Seele hat ein Bedürfnis nach Erfüllung, nach der Leichtigkeit des Seins. Sich von Erinnerungen zu befreien und gleichzeitig die Seele erfüllt zu halten – das ist ein Kampf mit der Zeit, der brutal ist und keine Gnade kennt. Rešickis poetischer Ausdruck ist stark, aber emotionslos und unaufdringlich. Er ist überzeugend, aber nicht affektiv und nicht aggressiv. Er kennt keine Ironie oder Resignation, keine Traurigkeit oder Beschreibung. Er ist, schlicht gesagt, ein professioneller Krieger, der die Hoffnung nicht aufgegeben hat.
Wenn man darüber nachdenkt, sein jüngeres Ich zu erwecken. Poetisch, unnachgiebig, rebellisch und doch geerdet. Denn wir dürfen nicht vergessen: Wir waren alle jung, wir können jung sein und wir können auch für immer jung bleiben.
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